Einfach Essen

Der Mensch muss essen. Das war schon Gott klar. Deshalb sorgte er vor und stellte einen Garten bereit. Die Regeln waren überschaubar: Du darfst alles essen, bis auf eine einzige Frucht. So weit, so einfach, könnte man meinen. Aber der Mensch war ein Anarchist. Er wollte selbst entscheiden, was er isst und griff zu. Er wollte Freiheit. Das ist nachvollziehbar, auch wenn es Gott zunächst nicht gefiel.

Heute geben wir die Freiheit freiwillig wieder ab. Es gibt einen neuen Gott: Das Essen. Es ist ein unübersichtlicher Gott. Man muss sich entscheiden zwischen der laktose-, gluten- oder cholesterinfreien Variante. Früher war man katholisch oder evangelisch, heute ist man Vegetarier, Frutarier oder Veganer. Als Bibel empfiehlt sich die „Fünf-Elemente-Lehre“, Ayurveda oder die Logimethode. Priester und Priesterinnen gibt es allerorten, sie bieten Seminare und Workshops an, bei denen wir das Selbstverständlichste der Welt lernen: essen.

Nicht, dass wir uns missverstehen: Ich bin selber Vegetarierin, habe aber grundsätzlich nichts einzuwenden gegen ein zuweilen genossenes Stück Schaf, das vor dem Gang in die Pfanne munter über eine Wiese hüpfte. Es spielt eine Rolle für mich, wie Lebensmittel hergestellt werden und welche Wege sie hinter sich bringen. Zum Bebauen der Erde gehört das Bewahren.

Jede gute Entwicklungshilfe setzt darauf, dass Menschen sich von dem ernähren können, was ihr Lebensumfeld bietet. Wir dagegen sitzen inmitten eines riesigen natürlichen Supermarktes und schaffen exotische Nahrungsmittel herbei, weil sie vermeintlich gesünder sind. Sind wir verrückt? Brauchen wir tatsächlich Sojabohnen aus Kanada, frisches Tofu aus China, Kokosmilch aus Sri Lanka, Eiersatzpulver aus brasilianischem Tapiokamehl, um besser zu leben? Liegt der Garten Eden in Übersee?

Wir hatten die Freiheit. Jetzt gehen wir zurück und bauen ein Gefängnis aus sinnlosen Regeln. Oder bauen wir viel eher ein Gerüst aus Sinn in einer unübersichtlichen Welt? Wollen wir unseren Lebenssinn im laktosefreien Käse finden? Ich spreche nicht von den echten Allergikern. Für sie sind Alternativprodukte ein Segen. Aber mittlerweile glaubt jeder Fünfte, auf mindestens ein Nahrungsmittel allergisch zu reagieren. Tatsächlich überempfindlich dagegen ist nur etwa jeder Fünfzigste.

Essen wird zum Lebenssinn. Das ist so, als erklärten wir das Benzin zum Auto, die Joggingschuhe zum Marathonsieger oder den Füller zum Nobelpreisträger. Wir machen den Gottesdienst zum Gott. Sie sind es nicht. Sie sind Mittel. Das steckt schon im Wort: Lebensmittel. Mittel zum Leben. Nicht mehr und nicht weniger. Klar macht es einen Unterschied, ob ich gepanschtes Benzin in mein Auto fülle. Und mit Flipflops lässt sich wahrscheinlich kein 42-Kilometer-Meter-Lauf bestreiten. Das Leben gewinnt an Qualität, wenn das Essen meinem Körper gut tut. Wer aber das Essen oder die Joggingschuhe selbst zum Sinn erhebt, bleibt auf halber Strecke stehen.

 

erschienen in Welt der Frau 

 

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