Ruhe!

Mein Handy macht ein sonderbares Sauggeräusch, wenn es eine Nachricht verschickt. Die Ampel piepst, sobald sie auf Grün springt. Auch die neuen Autos tun das, wenn man den Rückwärtsgang einlegt. In der Sauna plätschert Sphärenmusik auf mich hinab, und vor der letzten Beerdigung spielte Vivaldi in Dauerschleife den „Herbst“. Es gibt mittlerweile Särge mit eingebauter Musikanlage. Ein Schwede hat das erfunden. Falls die Ewigkeit zu still sein sollte, können Angehörige per Smartphone für die Beschallung des Toten sorgen. Die letzte Ruhe hat ausgedient. Stille scheint nicht mehr zumutbar zu sein. Die Verunsicherung könnte zu groß werden: Was wäre zu hören, wenn nichts mehr zu hören ist?

Ich will Stille. Und zwar jetzt und hier, nicht erst unter der Erde. Ich weiß, das ist ein egoistischer Wunsch, denn den Blinden hilft das Piepsen und den Traurigen die Geige. Und trotzdem: Wie schön wäre es, wenn es einmal am Tag ganz ruhig wäre. Es gibt Luftverschmutzung und Lichtverschmutzung, ich leide unter Lärmverschmutzung. Überall tönt es. Als müssten wir uns ständig versichern, das es uns gibt.

Ich stelle mir vor, wie ein kleiner, hutzeliger Handwerker in blauer Latzhose vor meiner Tür stünde und sagte: „Tschuldigung, aber wir stellen nachher mal die Geräusche ab. So zwischen eins und drei.“ Wer will, kann sich ja vorher eindecken mit den besten Hits der 80er oder einer gehörigen Portion Laubstaubsauger.


erschienen in Welt der Frau, gekürzt


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Kommentare: 2
  • #1

    Jörg Wiilkesmann-Brandtn (Montag, 09 November 2015 16:38)

    Stille Freude über diesen Text. :)

  • #2

    * freudenwort (Montag, 09 November 2015 20:42)

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