Flatrate

Omas Telefonnummer kann ich auswendig. Sie ist mein Leben lang gleichgeblieben. Trotzdem speicherte ich ihre Nummer in meinem ersten Handy. Es wäre nicht nötig gewesen, aber ein Adressbuch ohne Oma wäre mir unvollständig vorgekommen. Wenn Oma sich meldete, hatte ihr Tonfall immer etwas Feierliches. Als erwarte sie, den Bundespräsidenten höchstpersönlich in der Leitung zu haben. Telefonieren war für sie etwas Ernsthaftes. Da lümmelte man nicht auf dem Sofa rum und schon gar nicht machte man nebenbei den Abwasch. Man telefonierte und das möglichst kurz, damit es nicht so teuer würde. Irgendwann versuchte ich Oma zu erklären, was eine Flatrate ist, doch ich merkte, dass sie mir nur halb zuhörte. Sie wollte sich nicht umgewöhnen. Und das machte auch nichts, denn eigentlich liebte ich ja genau diese Ernsthaftigkeit. 

Mittlerweile ist Oma tot. Seit ein paar Jahren schon. Aber ihre Nummer zu löschen, habe ich noch nicht übers Herz gebracht. Es fühlt sich an, als würde ich die Erinnerung auslöschen, als würde ich Oma mit einer Taste aus meinem Leben entfernen, um neuen Speicherplatz zu schaffen. 

Die Nummer bleibt also. Immer, wenn ich jetzt durch mein Adressbuch scrolle und beim Buchstaben O bin, lese ich „Oma“ und muss kurz lächeln. Als bräuchte ich nur auf die Taste zu drücken, und sie wäre da. Würde sich irgendwo aus den Himmeln melden, würde wie immer „Ach, hallo!“ rufen, mit dieser Mischung aus Überraschung und Freude in der Stimme. Eine Sekundenerinnerung, wärmer und lebendiger, als der Name auf ihrem Grabstein, der so förmlich, so endgültig, so golden in Marmor gehauen ist. Die Vorstellung, nur einen Klick weit von Oma entfernt zu sein, ist irgendwie tröstlicher.

 

gesendet in: NDR 90,3 Kirchenleute heute

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Kommentare: 1
  • #1

    Gundolf (Montag, 16 November 2020 20:43)

    Ich habe auch so manche alte Telefonnummer in den Kontakten, die nur Erinnerungswert hat. Z.B. die meines Onkels, im Frühjahr 96-jährig verstorben. Oder die meiner Mutter. Es ist auch die meines Vaters, aber unter ihr steht sie trotzdem noch im Telefonbuch. Sie hieß Irene, von Freunden oder Verwandten wurde sie Reni gerufen, von meiner Schwester und mir Mutti, und in der Kindheit war es einfach Mami. Wenn mein Vater anruft, erscheint so manchmal auch noch Mutti im Display. Und bleibt in Erinnerung.

 

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