Kürbis statt Kapitulieren

 

Rilke sagt, der Sommer war groß, die Kirchen feiern Erntedank und durch meine Timeline rollen Kürbisrezepte. Der Herbst ist die sentimentalste der Jahreszeiten. Über allem liegt ein Goldfilter. Was jetzt nicht getan ist, wird nicht mehr getan. An den Türen hängen Kränze aus Hagebutten (fünf Euro der Zweig), die Welt soll bitte draußen bleiben. Altäre werden mit Möhren und Pastinaken und Ährenbündeln geschmückt, dabei greifen die meisten doch lieber zur toskanischen Gemüsepfanne aus dem Tiefkühlregal. „Wir pflügen und wir streuen den Samen auf das Land“, singen ein paar Textsichere und denken dabei an die Tüte mit den Kressesamen, die immer noch im Schrank liegt. 

Alles, was ich geerntet habe, sind zwei Kastanien.

Sie haben es irgendwie in meine Jackentasche geschafft, man kann sie weder essen noch konservieren, in drei Wochen werden sie schrumpelig sein, aber jetzt fühlen sie sich gut an. Jesus hat sich auf den Altar gesetzt und pult die Körner aus den Ähren. Ich sage, er solle das lassen, das sei Deko. Aber von Deko hält Jesus nichts und ernten ist sowieso nicht seine Sache, er sät lieber. Selbst jetzt im Herbst, wo eigentlich alles gelaufen ist. Mit vollen Händen wirft er seine Saat unter die Leute, und wenn die Hälfte seiner Worte unter die Dornen fällt und im braunen Morast erstickt, entmutigt ihn das nicht. Er sagt Worte wie Frieden und Liebe. Das ist auch ein bisschen retro, jetzt, wo man wieder sagen darf, dass die Ausländer raus müssen und die Grünen weg, weil man dann erstmal einen Schuldigen hat. Damit kennt sich Jesus gut aus. Hauptsache, man nagelt wen ans Kreuz, das ändert nichts an den eigentlichen Problemen, aber es lenkt ab. Ich frage, ob ihn das nicht frustriert. Immer das gleiche, die Menschen lernen nichts, auch in 2000 Jahren nicht.

Da möchte man doch den Kopf in den Acker stecken. 

Aber Jesus ist selber abgelenkt, er scrollt durch Kürbisrezepte. „Guck mal“, sagt er, „das kenne ich noch nicht. Das probiere ich heute Abend aus. Kommst du? Bring mit, wen du willst, der Topf ist groß.“ Ich will einwenden, dass Suppe auch keine Lösung ist. Aber dann halte ich mich an meiner Kastanie fest und nicke tapfer, weil Jesus schon immer mehr fürs Tun als fürs Lamentieren war. Kürbis statt Kapitulieren.

 

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Kommentare: 4
  • #1

    Geraldine (Sonntag, 06 Oktober 2024 13:49)

    Einmal in der Woche will er chiligewürzten Hokaido. Der wird in gleichgroße Würfel geschnitten. Mit Schale. Kochplatte auf höchste Stufe. In einem großen Topf viel Kokosbutter erhitzen und Chilipulver dazumengen. Jetzt wollen die Hokaidowürfel dazu. Immermal liebevoll wenden. Nach 5 Minuten den Topf mit dem Deckel schließen und die Kochplatte ausschalten. Wichtig - sich nicht mehr einmischen. Alles in Ruhe garen lassen.
    Inzwischen Quark in eine Schüssel geben. Mit einem Schluck Mineralwasser schaumig rühren und zu guter Letzt viele Knoblauchzehen durch die Presse hineinmischen.
    Dieses Miteinander - Kürbisorange und Knoblauchquark bleibt unvergessenwundervoll.

  • #2

    Regina (Donnerstag, 10 Oktober 2024 14:42)

    tolltolltolltolltoll

  • #3

    Karin (Samstag, 12 Oktober 2024 21:05)

    In der letzten Kirchenvorstandssitzung haben wir uns von diesem Jesus mal direkt ansprechen lassen und er hat uns klar gesagt, dass unser Lamentieren echt unmöglich ist und dass wir gefälligst die beiden Kastanien, die er jedem von uns auf den Platz gelegt hat, mal kräftig durchkneten sollen und dann den Blick auf alle anstehenden Dinge richten. Schließlich bringt Jammern über falsche Zahlen, zu wenig Zeit und vergammeltes Saatgut Nix.
    Er hat Recht haben wir gedacht, gelacht, tschüss gesagt als er raus geschlurft ist und uns dann an die Arbeit gemacht. Mal sehen, was fruchtbar wächst…..
    Danke, liebe Susanne Niemeyet, dass du ihn zu uns geschickt hast!

  • #4

    alexa (Sonntag, 17 November 2024 12:24)

    Jesus und die Ernte,
    mal menschlich übersetzt,
    ein Mann der Taten,
    mit beiden Beinen auf dem Boden,
    oft wird er abgehoben verklärt
    diesmal sucht er Rezepte und lädt alle an seinen Tisch,
    Gastfreundschaft,
    ich geh auch hin,

    danke, Susanne

 

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