06. Oktober 2024
Rilke sagt, der Sommer war groß, die Kirchen feiern Erntedank und durch meine Timeline rollen Kürbisrezepte. Der Herbst ist die sentimentalste der Jahreszeiten. Über allem liegt ein Goldfilter. Was jetzt nicht getan ist, wird nicht mehr getan. An den Türen hängen Kränze aus Hagebutten (fünf Euro der Zweig), die Welt soll bitte draußen bleiben. Altäre werden mit Möhren und Pastinaken und Ährenbündeln geschmückt, dabei greifen die meisten doch lieber zur toskanischen Gemüsepfanne...
29. September 2024
Gott sitzt im Sand und segnet dich Sandkorn für Sandkorn rieselt in die Lücken die du nicht zu füllen brauchst Geh, sagt Gott. Ich bleibe Gott sitzt im Sand und segnet dich Sandkorn für Sandkorn Segen aus: Wohnzimmerkirche im September
11. September 2024
Als die Freiheit streikte, stand sie mit einem selbstgebastelten Schild in der Fußgängerzone. Sie stand ganz allein da und tat mir leid, weil niemand sie beachtete. Irgendwer protestiert ja dauernd wegen irgendwas; fürs Klima, gegen den Krieg – in der Ukraine oder im Gaza, von Afrika rede ich erst gar nicht, ich bin schon froh, wenn es am Küchentisch friedlich ist. Damit habe ich genug zu tun. Ich sehe, wie die Freiheit tapfer ihr Schild in die Höhe hält: „Unterstützung gesucht!“,...
02. Juli 2024
„Wir müssen reden“, sag ich und Gott guckt, als hätte sie gerade einen Rollmops verschluckt. Oder er, ich komme da immer noch durcheinander, es verwirrt mich, dass Gott so uneindeutig ist. „Reden“, sagt Gott, „immer willst du reden.“ Dabei bläst sie ein paar Schwimmflügel auf. Ich lasse mich nicht beirren: „Das Klima, die Rechten, die allgemeine Unzufriedenheit und dann noch die Deutsche Bahn – das geht doch so nicht weiter. Du musst was tun!“ „Ich tue was“, sagt Gott...
19. Mai 2024
Vor 2000 Jahren, es ist Frühling, sitzen fünf Frauen und zwölf Männer unter einem Dach. Vielleicht waren es auch mehr. Fenster und Köpfe sind vernagelt, ihr Raum ist eng. Es ist gerade mal 50 Tage her, da wurde ihr Freund umgebracht. Wurde gefoltert und an ein Kreuz genagelt, wurde hängen gelassen, bis er tot war. Und allen, die zu ihm gehörten, wurde gedroht: Euch kriegen wir auch noch. Seitdem ist nichts mehr sicher.
Zwar treffen sie sich auch nach Jesu Tod regelmäßig. Aber die...
21. April 2024
Du im Himmel, wir wollen keinen Krieg statt Panzer wollen wir Pfirsichblüten wir wollen Geld ausgeben für Kinder Armut ist ein tristes Kleid Wir wollen kein Hochwasser und keine Erdbeeren im März die Erde liebhaben wollen wir Wir wollen keine Schmerzen aber wenn sie da sind wollen wir Hände die uns halten und niemand fällt heraus Wir wollen gerechte Renten und geteilte Träume Wir wollen Leben das nach Zukunft schmeckt
28. März 2024
Ich nehme die Schuld und lege sie in ein Bett aus gestärkten Leinen. Schlaf, sage ich, die Nacht singt dir ihr Wiegenlied. Ich bleibe drei Atemzüge, dann gehe ich durch die Schwärze davon. Der Mond geht unter. Die Luft wird leicht. Am Horizont das Licht. Die Schuld träumt einen zarten Traum. Am Morgen ist sie verwandelt, weiß der Himmel wie.
08. März 2024
Heute Morgen höre ich eine Andacht anlässlich des „Frauenkampftages“, so nennt die Pastorin ihn und beginnt im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Nö. Nö, ich möchte keinen Gott mehr in einseitig patriarchaler Sprache feiern. Auch nicht aus Traditionsgründen. Es gab auch mal die Tradition, Hexen zu verbrennen, Kinder zu schlagen und Hunde in Deiche einzubuddeln, um den Geist der Sturmflut zu besänftigen. Man muss nicht jede Tradition von Ewigkeit zu Ewigkeit...
04. März 2024
Ich stelle mir vor: ein Tag, an dem alle anziehen, wovon sie insgeheim träumen. Wie Karneval, nur in echt. Sibylle zum Beispiel trägt ein Kleid aus 943 Federn, die hat sie alle eigenhändig angenäht. Weil sie sich mal wie ein Vogel fühlen will. Paul trägt Pailletten zum Blaumann. Igor trägt wie immer Jeans und Wollpullover, weil er sich darin am allerwohlsten fühlt und zutiefst Igor ist. Frau Piepental hat ihren Petticoat rausgeholt und niemand sagt: Na wissen Sie, in Ihrem Alter… Es...